Montag, 18. Juni 2007

Das Kind

Ich war am schlafen, als ich auf einmal ein mächtiges Poltern am andern Ende des Zimmers hörte. Ich hatte mich halb zu Tode erschrocken und wusste nicht was ich tun sollte. Sollte ich mich unter der Bettdecke verkriechen, oder schnell nachsehen gehen was passiert war? Ob wohl nur was umgefallen ist, oder ob sich doch ein Einbrecher in meine Wohnung gewagt hatte? Egal - ich hatte mächtig Angst! Auf einmal hörte ich eine Stimme "Hallo... Mami es ist so dunkel, ich sehe nichts!" Es war die Stimme eines Kindes. Doch wie um Gottes Willen konnte sich ein Kind in meine Wohnung verirren? Träumte ich das alles nur, war ich wieder mal am schlafwandeln? Ich stellte mir diese Fragen und kam zum Schluss, dass ich hellwach bin, und dass das hier wirklich passiert. Ich nahm allen Mut zusammen und machte das Licht an, ich hörte mein Herz rasen und meine Hände waren nass geschwitzt. Einen kurzen Moment überlegte ich mir, laut um Hilfe zu schreien, doch die Angst hätte es so oder so nicht zugelassen, dass nur ein Ton aus meine Kehle kommt. Ich sah vor mir ein kleines Mädchen, das zusammengekauert auf dem Boden lag. Irgendwie - noch im Halbschlaf - hatte ich die komische Vorstellung, dass, wenn ich das Kind anspreche, es sich umdrehen würde und anstellte eines Gesichtes es eine schreckliche Zombie - Fratze hätte. Ich musste mich erst mal beruhigen, richtig wach werden und meine Augen an das Licht gewöhnen. Ich atmete tief ein.... Dann ging ich auf das Mädchen zu, berührte es an der Schulter und sagte "Hallo Du, wie kommst Du denn hier hin?" Das Mädchen hob ihren Kopf. Ihre Augen waren voller Angst... doch halt... diese Augen... ich hatte sie schon mal gesehen... irgendwo... schnell schaute ich ob ich noch andere bekannte Gesichtsmerkmale erkennen konnte, und bald war der Fall klar: Dieses kleine Mädchen, das war ich!!! Ich im alter von ca. 6 Jahren! Wie gebannt schaute ich auf einmal auf den Schlafanzug des Mädchens - meinen pinken Schlafanzug mit den Comicfiguren drauf, den ich damals so heiss und innig liebte, dass ich das ganze Wochenende darin rumgelaufen bin. Ich dachte mir "Fuck! Wenn das ich gerade echt passiert, dann darf ich's mir jetzt nicht verscherzen!" Und im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar: DAS IST MEINE CHANCE! Ich musste mir als Sechsjährige einen Vorteil gegenüber allen anderen verschaffen, ich hatte in diesem Moment die Gelegenheit, die einmalige Chance mein ganzes Leben in eine neue Bahn zu lenken. Ich sass da und dachte:Oh, was sage ich Ihr bloss? Was ist wichtig? Soll ich sie auf den Tod ihres Vaters vorbereiten? Soll ich ihr sagen, dass sobald sie alt genug ist von zu Hause weg gehen soll? Soll ich sie vor dem fiesen Kerl aus der fünften Klasse vorwarnen? Soll ich ihr Tipps für den ersten Kuss geben, oder soll ich ihr das Prinzip einer Solarzelle erklären. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Ich zittere am ganzen Körper, doch nun mehr vor Erregung denn vor Angst. Ich sah mich an, und merkte das ich (als sechsjährige) auch total verängstig war. Irgendwie erwartete ich, dass Sie, also ich ... das keine Mädchen davon rannte. Doch sie sass nur da, zitterte vor Angst und starrte mich an. "Bist Du ich?" fragte Sie mich auf einmal mit dünner Stimme und brach somit das Schweigen. "Ja!" Ich weinte... denn ich erkannte auf einmal die Verletzlichkeit und den Mut der mir entgegen sass - und wie clever ich doch war. "Träume ich das?" stellte sie erneut eine Frage. "Ja!" Antwortete ich. "Warum?" ... das ist wieder mal typisch ich, dachte ich mir, immer alles hinterfragen. Ich auf starrte ihre langen blonden Haare um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen und sagte dann: "Weil Du etwas ganz wichtiges wissen musst!" Ich machte eine Pause und erwartete eigentlich eine Frage, doch es kam keine, also fuhr ich fort: "Carina, mein Engel! Du musst wissen dass Du etwas ganz besonderes bist. Du bist viel, viel schlauer als die anderen Kinder bei Dir in der Klasse. Und weisst Du warum? Weil Du jetzt schon weisst was später einmal wichtig sein wird." Klein Carina schaute mich interessiert an. Ich erkannte sofort diesen Blick, denn es war genau der Selbe, den ich habe, wenn ich irgendwelche Informationen in mich aufsauge. Aussenstehende denken oft ich wäre in Gedanken verloren oder höre nicht richtig zu wenn ich diesen Blick drauf habe, dabei ist gerade das Gegenteil der Fall. "Was ist wichtig?" Ich wählte meine Worte mit bedacht: "Es ist wichtig, dass Du immer an Dich selber glaubst. Du musst wissen, dass alles gut kommt. Eines Tages wirst Du etwas Grossartiges vollbringen und alle werden stolz auf Dich sein. Du wirst die tollsten Freunde auf der Welt haben um die Dich alle beneiden, Du wirst super schlau sein und die Jungs werden auf Dich fliegen." Meine, super ergreifende Rede wurde von einem lauten "Iiiii, ich find Jungs doof!" unterbrochen. Ich musste lachen, was war ich doch für eine süsse, freche Rotznase! Ich schaute Sie an und konterte - was eigentlich total fies war, da ich ja 20 Jahre Weisheit und einen riesen Wissensvorsprung hatte. "Ach ja, und was ist denn mit Markus? Klein Carina wurde rot und war auf der Stelle ruhig. Ich wollte gerade wieder den Faden aufnehmen als sie meine Hand nahm und mich fragte: "Warum hat mich keiner lieb?" Und da war es wieder das Gefühl von Panik und absoluter Ohnmacht, ich zitterte so sehr, dass ich kurz vorm kollabieren war. Mit Mühe und Not antwortete ich: "Wie kommst Du denn darauf!" "Mami und Papi streiten sich immer, und wenn sie fertig sind, dann sind sie böse zu mir. In der Schule hauen sie mich, und keiner will mit mir spielen - warum?" Auch Du Scheisse, was antwortet man darauf - und dann erst noch einer Sechsjährigen!?! Das war die Frage vor der ich mich mein ganzes Leben lang gedrückt hatte, doch nun gab es auf einmal kein Entkommen mehr. Ich weinte. Ich weinte wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte. Und ich schämte mich. Ich schämte mich vor mir selbst. Und ich hatte ein mieses Gewissen.... wie konnte ich mir das nur antun! Ich musste mich zusammenreissen. "Hör zu Carina, manchmal sind Menschen blind obwohl sie zwei gesunde Augen im Kopf haben! Du aber siehst die Menschen mit deinem Herzen und das bringt dir einen Vorteil, und diesen Vorteil fürchten viele Leute, denn sie verstehen nicht wie jemand der noch so klein ist so viel wissen kann." Ich hörte wie die Worte aus meinem Mund kamen und überlegte wie verwirrend das wohl für ein kleines Mädchen sein musste. Sie aber schaute mich an - als wollte sie mich trösten - und sagte: "Ich glaub das versteh ich, sie haben Angst weil ihr Herz blind ist." "Ja, so ist es!" "Kannst Du machen, dass mich die Leute mögen?" fragte mich klein Carina."Ja, das kann ich, aber ich brauche Deine Hilfe. Versprich mir das - was immer auch geschieht - Du immer dran denken wirst was heute passiert ist. Wisse, dass alles im Leben einen Sinn ergibt!""Dann haben mich die Mami und Papi und die andern Kinder lieb?"
"Dann wirst Du noch beliebter und schöner sein als Schneewittchen!" "Wow... aber Du bist nicht so schön wie Schneewittchen... warum nicht?"Ich schaute sie an und antwortete: "Um das zu werden musste ich Dich zuerst treffen!"

Auf einmal lag ich in meinem Bett, schweissgebadet. Ich hatte einen Traum an den ich mich nicht erinnern konnte, doch erinnerte mich irgendwie an einen Traum den ich als kleines Kind mal hatte.... das einzige an das ich mich erinnern konnte war mein pinker Schlafanzug mit den Comicfiguren....